Botticelli, 2018, Acryl auf Leinwand,160 x 120cm
Ikara, 2018, Acryl auf Leinwand,120 x 160
Ikara I, 2018, Acryl auf Leinwand,120 x 160cm
Maja 2018, Acryl auf Leinwand, 120 x 180 cm
1001, 2018, Acryl auf Leinwand, 2teilig, gesamt 120 x 180 cm
o.T., 2018, Kartoffeldruck, Acryl auf Leinwand, 170 x 140 cm
001, 2018, Acryl auf Leinwand, 2teilig, gesamt 120 x 280 cm
Liberté, 2018, Acryl auf Leinwand, 160 x 120 cm
d'Ingres, 2018, Acryl auf Leinwand, 2teilig, gesamt 120 x 280 cm
o.T., 2018, Acryl auf Leinwand, 10teilig, gesamt 120 x 150 cm
Die Vergänglichkeit der Zukunft
Ausstellung, 24. Februar 2019,
12 Uhr, Frauenmuseum Wiesbaden
Rede: Doris F. Peckhaus
(gekürzte Fassung)
II. Die Vergänglichkeit der Zukunft, 2019
Dieser Zyklus umfasst elf große Frauenbildnisse und eine Collage. Die Bildnisse zeigen Frauenfiguren in bewegter oder ruhender Haltung, unklar
umrissen, flüchtig, blicklos, in einer Umgebung, von der man nicht weiß, ob sie Luft oder Leinwand ist
All diese Figuren sind Zitate, Zitate von Ikonen der Malerei oder unseres kulturellen Gedächtnisses. Zu den zitierten Ikonen der Malerei gehören die Venus von Botticelli (1484/1485), die bekleidete Maja von Goya (1808), die Odaliske oder Konkubine von Ingres (1814) und die Liberté von Delacroix (1831). Mit Ikara und Ikara I greift die Malerin den griechischen Mythos von Ikarus und Dädalus auf, mit den beiden Rückenansichten zitiert sie ein eigenes Werk aus dem Zyklus „alter eros“ von 2009.
Was bedeuten diese Zitate? Zunächst einmal das Zitierte selbst, d.h. aufgerufen werden mit der Venus von Botticelli die Ankunft von Schönheit und Liebe auf der Erde, mit der Liberté von Delacroix die Marianne als Kämpferin für die Freiheit, und mit dem Mythos von Ikarus und Dädalus die Geschichte einer Befreiung aus Gefangenschaft, bei der der Übermut des Ikarus, jetzt der Ikara, mit Sturz und Tod bestraft wird. Der zweifache Rückgriff der Künstlerin auf ihren Zyklus „alter eros“ schließlich zitiert ihre eigene Botschaft von der Erotik des alternden Körpers.
Wie aber verändern die Zitate die ursprünglichen Botschaften? Es gibt keine Farbigkeit mehr, nur Schwarz, Weiß und Grau, d.h. die Palette von Strich- und QR-Codes. Es gibt keine Umgebung mehr, keine weiteren Figuren, die Körper sind transparent, die Umrisse verschwimmen, sie könnten vergehen, vor unseren Augen entschwinden - entschwinden aber wohin?
Entfliehen sie nur unserem Blick oder sind sie dabei, sich gänzlich aufzulösen? Nehmen sie ihre Botschaften mit in den Nebel oder bedeutet ihre Auflösung ein Ende, das Ende auch ihrer Botschaften - der Schönheit, Liebe, Freiheit und der Erotik des Alters, im Nichts. Sehen wir hier einen Untergang oder „nur“ einen Übergang? Es ist nicht ganz klar.
Klar aber sind die unverkennbaren Hinweise auf unsere digitale Welt, durch die die Zitate deutlich verändert werden. So trägt die Venus jetzt eine Virtual Reality Brille, blickt nach Innen ins Virtuelle und nicht mehr auf ihre Umgebung, die im gemalten Bild auch schon gar nicht mehr existiert. Und während bei Botticelli die Hand der Schönen ihre Scham bedeckt, taucht sie bei Claudia Poeschmann darin ein. Sehen und Fühlen sind also ganz auf sich selbst bezogen.
Andere Figuren offenbaren andere Hinweise. So verschwimmt Delacroix‘ Freiheit in einem Prozess der Codierung durch Streifen. Genauso die Konkubine von Ingres. Noch sind die Ikonen erkennbar, aber wie lange noch? Und was ist mit den Rückenansichten, den beiden Selbstzitaten aus dem Zyklus „alter eros“? Das Alter ist überwunden, die Mischung aus künstlicher und natürlicher Muskulatur expressiv, hybrid die Wesen. Ein elektronisches Fitnessband am Handgelenk und der Strichcode im Rücken verweisen auf kontrollierte Selbstoptimierung, auf Online-Verfügbarkeit, die fortschreitend digitale Definition des Menschen heute.
Übergang oder Untergang? Ist das noch die Frage? Gelingt das Hinüberretten der jahrhunderte, ja jahrtausende alten Ikonen von Freiheit, Liebe und Schönheit in unsere Zukunft? Oder sind hybride Optimierung und Selbstbezogenheit des Menschen neue Ideale?
Claudia Poeschmann widmet der fliegenden Ikara ein eigenes Bild. Wird diese gleich stürzen? Oder hat sie sich gerade erst erneut erhoben? Die Trennung der fliegenden und der gestürzten Ikara zerreißt, entzweit den griechischen Mythos, bei dem Ikarus, der Übermut, keine zweite Chance erhält. Claudia Poeschmann hingegen eröffnet uns mit Ikara und Ikara I - eine Dädala gibt es nicht - die Chance, uns immer wieder neu zu erheben. Weder Übergang also, noch Untergang. Beides ist da, zugleich.
Das gilt auch für die anderen Zitate. Die Künstlerin übersetzt die Ikonen von Schönheit und Freiheit zwar ins Flüchtige, das Vergängliche, ja, in die Selbstbezogenheit unserer Zeit, malt aber nicht deren Untergang. Vielmehr fixiert sie ihre Figuren in einer Zwischenwelt, in einem erkennbar gefährdeten, doch ebenso deutlich schönen Zustand. Die Umgebung ist hell, es gibt Gestaltungsspielraum. Wir selbst sind die Gestalterinnen.
IV. Schluss
Schauen wir uns noch einmal um, in diesem vorerst letzten Zyklus.
Stünden sie auf, die Figuren, gingen, flögen sie weiter, wären die Bilder erloschen, nichts als Luft und Leinwand. Die Figur, der Mensch, die Frau wird als Solitär gesehen, ob als rot leuchtendes Angesicht, steinernes Monument oder geisterhaftes Wesen, Hybrid. Das ist eine malerische Konstante - in allen Zyklen, die Figuren zeigen.
Und dennoch gibt es Verbindungen, nicht auf den einzelnen Bildern, sondern durch die Vielzahl der gleichermaßen Betroffenen. Fünfzig Frauen z.B. sind in ganz ähnlicher Situation, teilen ihr Schicksal, teilen es aber einander nicht mit. Kommunikation wird in Claudia Poeschmans Kunst nicht thematisiert, Gleiches führt nicht zum Austausch. Nur durch die Serie wird klar, dass es der einen geht wie der anderen. Nicht ich allein behaupte mich gegen Flammen, Verfall oder den Verlust von Identität, nein, du und du, wir alle. Nebeneinander.
Was sich hier offenbart, ist eine schmerzhafte Radikalität.
Alles worauf sie sich die Künstlerin konzentriert, ist das Erfassen der Zumutungen, denen wir ausgesetzt sind, das Begreifen der damit verbundenen Bedrohung, sich zu verlieren, ob durch innere Auseinandersetzungen, den Verfall des Körpers oder den Verlust der kulturellen Identität. Die Malerin geht mitten hinein in diese Bedrohung, mitten in ihre Angst, und zeigt uns Formen der möglichen Rettung: Akte der Selbstbesinnung, Selbsterhaltung, Neuerfindung - das alles aber sind individuelle Akte.
In der Malerei Claudia Poeschmanns entspringt die Selbsterhaltung der Kraft des Individuums, der Kraft jeder einzelnen Frau, nicht der Gruppe, der Kommunikation oder Verständigung. Die wird nicht gemalt, nirgendwo auch nur getauschte Blicke. Claudia Poeschmann fokussiert die einzelne Frau, ihre Haltung. Auch das ist eine Grundkonstante ihrer Malerei. Ihre mutige Botschaft: ich kann mich halten, erhalten, allen Zumutungen zum Trotz. Und seht: der Schrecken dieses einsamen Kraftakts ist weniger schwer zu ertragen, wir alle sind doch betroffen, wir alle können das schaffen!